Lukas, 2 Jahre
Lukas wurde im April vom KND in Obhut genommen. Beamten eines Nordberliner Polizeiabschnitts baten uns, das Kind aus der Wohnung abzuholen, da die Mutter aufgrund erheblichen Alkoholkonsums z. Zt. nicht in der Lage sei, ihr Kind zu versorgen.
Nachdem Frau F. von der Polizei mitgeteilt wurde, dass ihr Kind nun vom KND abgeholt werde, gab sie an, sich vom Balkon stürzen zu wollen.
Beim Eintreffen unserer Kolleginnen in der Wohnung von Frau F. spielte Lukas friedlich im Wohnzimmer. Die Mutter war mit den Polizeibeamten in einem anderen Raum. Da Frau F. alkoholisiert und sehr aggressiv war, konnte in dieser Situation kein beratendes Gespräch geführt werden.
Frau F. wurde von den Polizeibeamten zum Griesinger Krankenhaus gebracht. Unmittelbar nach ihrer Einlieferung erkundigte sie sich im KND nach ihrem Kind und machte deutlich, dass sie Lukas am nächsten Tag wieder zu sich nehmen möchte.
Lukas konnte die Situation nicht verstehen, er war irritiert, hat sehr geweint und nach seiner Mutter gerufen. Auch beim Eintreffen in unserer Kindergruppe war er noch sehr verängstigt, weinte, zitterte und hatte eingenässt, lies sich nur sehr schwer beruhigen...
Lukas wirkte in vielen Bereichen (Motorik, Sprache, Kognition, Spiel- und Sozialverhalten) nicht ganz altersgemäß entwickelt. Während seines Aufenthaltes im KND war er in seinen Interaktionen eher passiv und verhalten. Er nahm nur minimal Kontakt zu seiner Umwelt auf (auch zu Gegenständen). Lukas mied die Nähe zu den Betreuern und hielt kaum Blickkontakt. Auch anderen Kindern gegenüber zeigte er sich zurückhaltend und abweisend. Er ließ niemanden an seinem Spiel teilhaben. Lukas konnte seine Bedürfnisse und Wünsche nur schwer artikulieren, er nutzte seinen Finger zum Zeigen und stieß vereinzelt einige Laute aus. Beim Laufen verlor Lukas oft das Gleichwicht. Das Abschätzen von Entfernungen bereitete ihm große Schwierigkeiten. Vor dem Waschen schien Lukas Angst zu haben, besonders vor der Badewanne. Beim Wechseln der Windeln wirkte er angespannt, bei zügigen Bewegungen reagierte er mit verstärktem Augenzwinkern und hielt sich manchmal die Hände vor sein Gesicht.
Sein Interesse konnte aber bei den Mahlzeiten geweckt werden. Das Essen bereitete ihm große Freude. Er konnte selbstständig essen und trank aus einer Schnabeltasse.
Frau F. besuchte ihren Sohn. Dabei wirkte sie jeweils ruhig und klar. Sie spielte je eine Stunde mit Lukas, was er sichtlich genoß. Begrüßung und Abschied verliefen erstaunlich "problemlos". Er winkte seiner Mutter zu und ging mit der Betreuerin wieder in die Kindergruppe. Nach dem Abschied, wenn Lukas außer Sichtweite war, fing Frau F. an zu weinen. Im Gespräch machte sie deutlich, wie geschockt sie noch war, konnte aber auch ganz klar benennen, dass der Rückfall in ihrer Verantwortung liege und wie sehr sie diesen bereue. Gleichzeitig drückte sie ihre Befürchtung darüber aus, dass sie Lukas nicht wieder zurückbekommen könnte. Frau F. sprach offen über ihre Sucht und dass sie bis zum aktuellen Rückfall 14 Monate lang abstinent gewesen sei. Die Gründe für den erneuten Rückfall wolle sie mit Hilfe einer Suchtberatung herausfinden. Sie machte sich zudem Selbstvorwürfe und sagte, dass sie schlimmer als ihre eigene Mutter ist, die ebenfalls Alkoholikern sei. Frau F. erzählte, dass sie Kontakt zu zwei „Suchtprojekten“ habe. Ihr größtes Ziel sei es, keinen Rückfall zu haben und Lukas zurück zu bekommen.
Frau F. ist bereit, Hilfe anzunehmen, insbesondere die geplante Familienhilfe und bei der Bearbeitung ihrer Suchtproblematik. Sie möchte Lukas Entwickung unterstützen, mit ihn mehr unternehmen und mit ihm spielen. Auch sieht sie die Voteile eines regelmäßigen Kitabesuches und freut sich nun über den sofortigen Kitaplatz durch das Jugendamt.
Zu Lukas ängstlichem und passivem Verahlten konnte oder wollte Frau F. nichts sagen. Es war aber deutlich zu spüren, dass sie etwas in ihrem und auch seinem Leben ändern wollte...
Lukas wurde nach Absprache mit dem Jugendamt nach 5 Tagen zurück in den Haushalt der Mutter entlassen. Die Familienhilfe begann am selben Tag.